von Felix Schmale [01.04.2024]
Der folgende Abschnitt ist in die Zeit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 einzuordnen. Eingeleitet wurde diese Periode mit dem sogenannten 'Schwarzen Donnerstag', dem Zusammenbruch der New Yorker Börse am 24. Oktober desselben Jahres. Die Weltwirtschaftskrise, in den USA auch 'Great Depression' genannt, traf vor allem die Vereinigten Staaten und das Deutsche Reich. In der Folge erließ die amerikanische Regierung unter Franklin D. Roosevelt eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen, die unter dem Begriff/der Epoche des 'New Deal' (1933-1938) zusammengefasst werden können. Dazu gehörten auch die Aktivitäten um die Resettlement Administration (RA) wie auch später die Farm Security Administration (FSA).
Die Aktivitäten rund um die 'New Deal'-Politik von Roosevelt wurde in der politischen Öffentlichkeit der USA von verschiedenen Seiten diskutiert. So wurde dies gerade von der Opposition als ein »[…] un-American experiment in governmental intervention, paternalism, socialism, or communism; a sop by a reluctant and middle-of-the-road President to political thunder on the left; a plaything created for the diversion of utopian dreamers; an organized conspiracy to undermine the status quo in rural America […]« (Baldwin 2018, 4) gesehen. Auf der anderen Seite standen Menschen, die eher einen unterstützendes und zusprechendes Verhältnis zu den Maßnahmen hatte. Diese als eher links orientierten Menschen hielten das Projekt der FSA für eine Pionierleistung, die es einem sozial- und ökonomisch abgehängten Teil der amerikanischen Bevölkerung ein Weg aus der Armut und zu mehr politischer Teilhabe ermöglichen sollte (ebd.).
Zum Anfang des Jahres 1935 gründete sich auf den Erlass ('executive order') von Präsident Franklin D. Roosevelt die Resettlement Administration, eine Bundesbehörde, welche die verarmte Landbevölkerung, zumeist Kleinbauern, der Vereinigten Staaten unterstützen sollte. Zwei Jahre später, im September 1937, wurde die Behörde in seiner Struktur umgeformt und unter dem neuen Namen 'Farm Security Administration' an das US-Amerikanische Landwirtschaftsministerium angeschlossen. Die Behörde wurde schließlich im Jahr mit Kriegseintritt der USA 1943 aufgelöst und in Teilen an das Office of War Information (OWI) angeschlossen.
Was für diese Ausführung von Interesse ist, ist die 'photographic section' innerhalb der 'information division' der RA sowie später der FSA. Diese war eine von fünf Sektionen innerhalb der ID, zu denen unter anderen auch eine Art Pressestelle, sowie die Produktion von Radio-Beiträgen und Dokumentarfilmen gehörte (vgl. Baldwin 2018, 117). Die ersten eineinhalb Jahre gehörten zu den produktivsten Monaten der Sektion (ebd.). Sie produzierten eine »flood of descriptive materials, about the work of the Resettlement Administration and the problems of its clientele, that found their way into newspaper stories, magazine articles, radio scripts, and the speeches of sympathetic public officials and politicians« (Baldwin 2018, 117).
Erst in der RA und dann auch in der FSA wurde die 'photographic section' von dem Wirtschaftswissenschaftler Roy Emerson Stryker geleitet (vgl. Baldwin 2018, 117; Newhall 1949, 178; Stumberger 2007, 71). Unter seiner vollen Kontrolle stand eine Gruppe von Fotograf:innen zu denen anfangs unter anderen Dorothea Lange, Walker Evans, Arthur Rothstein, Carl Mydans und Ben Shahn gehörten (vgl. Stumberger 2007, 72). Später gehörten noch mehr Fotograf:innen dazu. Insgesamt waren es etwa 20 Fotograf:innen, die aber nicht für die ganze Dauer des Bestehens der RA/FSA tätig waren, da einige von Ihnen später dazustoßen oder die Gruppe früher verließen.[1]
Die genannten Fotograf:innen standen im direkten Auftrag der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika (vgl. Carol-2019: 63). Propaganda ist ein Kommunikationsinstrument, das es im engeren Sinne staatlich/politischen Instanzen ermöglicht, die Meinung der Bevölkerung bzw. bestimmter Teile der Bevölkerung zu beeinflussen (Bussemer 2005, 28; zit. nach Maletzke 1972). Dabei ist zu beachten, dass die Akteur:innen dabei nicht die Wirklichkeit verändern, »sondern Veränderungen in der subjektiven Realitätskonstruktion der Menschen, die dann allerdings zu fassbaren Realitätsveränderungen führen können« (Bussemer 2005, 30). Aufgrund der Wirklichkeitsrezeption der Menschen, die in der modernen Gesellschaft (dies schließt auch die Zeit des RA/FSA ein) Welterfahrung zu einem großen Teil medial erleben (vgl. Bussemer 2005, 31). Zudem wird Propaganda eben über diese Medien verbreitet (ebd.). Im Sinne Bussemers ist »Propaganda [...] im doppelten Sinne medial [...]« (Bussemer 2005, 31).
Zur Frage, ob die 'information devision' Propaganda betrieb, lässt sich folgendes Fazit ziehen: Ja, die Fotograf:innen standen unter der direkten Kontrolle von Roy E. Stryker, der sie »controlled and guided […], who briefed the photographers on the sociological background of their assignments, stimulated their imagination and encouraged their curiosity« (Newhall 1949, 181). Die technischen wie auch ästhetischen Fragen waren den Fotograf:innen selbst überlassen (ebd.). Dafür waren sie, um es mit Anette Vowinckel auszudrücken: »Fotografen [sic] im Staatsdienst« (Vowinckel 2016, 145). Wobei dieser Begriff (wie sie es auch selbst beschreibt) nicht synonym mit propagandistischem fotografischem Handeln verwendet werden kann, es aber zu einem großen Teil erklärt und sich auf das Arbeitsverhältnis in Form einer Anstellung beim Staat bezieht und nicht unbedingt auf ideologisches Handeln. Die RA und später FSA waren US-Behörden, die Informations-Abteilung, zu der auch die Fotografie-Sektion von Stryker gehörte, hatten als einziges Ziel die Meinung der breiten Öffentlichkeit gegenüber den Maßnahmen positiv zu beeinflussen.
Das Unterfangen war in dem Sinne sehr erfolgreich, »[…]1940 hatten rund 175 Zeitungen und Magazine […] FSA-Bilder abgedruckt.« (Stumberger 2007, 73). Zu den wohl berühmtesten Veröffentlichungen gehörten diese in Life, Look und Time wie auch in der New York Times (ebd.). Die Fotograf:innen hatten keine Kontrolle über die Bildnutzung, konnten die Bilder aber auch für eigene Publikationen verwenden (ebd.). Die FSA verwendete die Bilder für die verschiedensten Veröffentlichungen, darunter Jahresberichte, Flugschriften und auch Ausstellungen (ebd.).
Das wohl berühmteste Bild ist das Bild ‘Migrant Mother‘ von Dorothea Lange. Dies zeigt eine Frau, mit einem melancholischen Blick der links an der Kamera vorbei gerichtete ist. Sie ist sitzend, bis etwa zur Hüfte zu sehen. An Ihren Schultern sind die Rücken von, vermutlichen Ihren, Kindern zu sehen (siehe Abbildung 1). Zu Lange als Person wie auch die Einbettung in den Gesamtkontext beschreibt Stein (Stein 2020) in Ihrer Publikation »Migrant Mother – Migrant Gender« die auch heute noch beliebte Rezeption des Bildes im fotografischen Diskurs. Stein beschriebt darin, dass diese Bild als ein disruptives Bild im Kontext von der Rolle der Frau in u.a. der Gesellschaft und dem Verhältnis von Mutterschaft und dem 'Zuhause' gelesen werden sollte (vgl. Stein 2020).
Lange, D., photographer. (1936) Destitute pea pickers in California. Mother of seven children. Age thirty-two. Nipomo, California. United States Nipomo San Luis Obispo County California, 1936. March. [Photograph] Retrieved from the Library of Congress |
Die Frage, ist, welche Auswirkungen dies auf die aktuelle Rezeption der FSA-Fotograf:innen für den Fotojournalismus im Hier und Jetzt hat. Generell lässt sich festhalten, dass der Fotojournalismus als Subsystem der Dokumentarfotografie verstanden werden kann. Fotojournalismus verhandelt also Wirklichkeit in Form von Fotografie und veröffentlicht diese in der Presse. Im Gegensatz zur Dokumentarfotografie, die deutlich medienreflexiver agieren kann als der Fotojournalismus, der nach strengen berufsethischen Paradigmen funktioniert.
Um der Frage aus dem Weg zu gehen, ob die FSA-Fotograf:innen fotojournalistisch handelten, kann angeführt werden, dass einige der Fotograf:innen, wie etwa Dorothea Lange sich noch am relativen Beginn Ihrer Karriere befanden. Andere Fotograf:innen waren zuvor als Fotojournalist:innen für verschiedene Publikationen tätig und führten diese Tätigkeit auch nach der Anstellung bei der US-Behörde weiter. Carl Mydans wurde beispielsweise von seiner Beschäftigung bei der US-Behörde vom Magazin Life abgeworben.
Die Fotograf:innen der FSA handelten in einem, aus heutiger Sicht, mit fotojournalistischen Methoden, ähnliches ist auch heute in der Public Relations/PR/Öffentlichkeitsarbeit zu beobachten. Hier fordert beispielsweise Koltermann (2021b) bei einer Branchentagung vom Journalist:innenverband dju in verdi am 8.10.21 an der FH Dortmund, dass eine klare Trennung zwischen PR und journalistischer Tätigkeit bestehen muss..
Unter der Annahme, dass die Fotograf:innen nach ihrer Zeit bei der FSA ohne ‘Hürden‘ (zurück) in das Berufsleben in einem journalistischen Rahmen kehren konnten, stellt sich die Frage, was das mit dem Berufsbild des Fotojournalismus macht. Systemtheoretischer gesprochen befand sich die Konzeption des Fotojournalismus noch in den Kinderschuhen. Solomon-Godeau (2011) sagt, »daß das Dokumentarische eine historische und keine ontologische Kategorie ist.« (Solomon-Godeau 2011, 54). Daraus kann man den Schluss ziehen, dass der stetige Bezug auf unter anderem die Fotograf:innen der FSA also Pioniere einer sozialdokumentarischen Fotografie auf wackeligem Fundament steht. Das Berufsbild ist ein dynamisches, wenn aber das Grundfundament sich auf ästhetische und ethische Qualitäten, bezieht, dann sollte die Frage nach dem Kontext doch viel lauter sein. In welchem Zusammenhang entstehen Bilder und wie verändern sich die Karrieren sowohl der Oberfläche (‘image‘) als auch des Objektes (‘picture‘) über die Zeit. [2]
Die gleiche Überlegung kann über folgenden Sachverhalt in Deutschland angestellt werden. So wurden die Spitzenpositionen in den Redaktionen von deutschen illustrierten Zeitschriften von Alt-Nazis bekleidet (vgl. Bauernschmitt und Ebert 2015, 77f). So besetzte etwa die Zeitschrift ‘Quick’ den Posten des Chefredakteurs nach 1945 mit dem ehemalige ‘Hauptschriftleiter’ der Berliner Illustrierten [3], Harald P. Lechenberger, welcher ebenfalls Korrespondent bei der NS-Zeitschrift ‘Signal’ war (ebd.). Ebenso wurde die Redaktion überwiegend mit Alt-Nazis, also belasteten Persönlichkeiten besetzt (ebd.). Ein ähnlicher aber deutlich prominenterer Fall war bei dem Magazin ‘Stern‘, wessen Gründer, Henri Nannen, ebenfalls ein prominenter Alt-Nazi war (ebd.). Nannen war bis kurz vor das Ende des Krieges ein einfacher Soldat, bis er zwei Jahre vor Kriegsende in die SS Propaganda-Abteilung geholt wurde (vgl. Goetz u. a. 2022). Dort wurden unter seiner Kontrolle eine Menge antisemitischer Flugblätter erstellt und diese an Soldaten der Alliierten in Italien verteil (ebd.). Dieser Fall erlangte an Prominenz unter anderem durch eine Recherche des NDR, welche nachweisen konnte, welchen Inhalt die unter Nannen erstellten Flugblätter hatten (ebd.).
Die Frage ist hier: Worauf bezieht sich ein ganzer Berufsstand, wer sind die Vorbilder für die betriebene fotografische Praxis. Wie auch schon im vorangegangenen Kapitel besprochen, geht es um eine genauere Differenzierung von Bildern und den Netzwerken, in denen sie stehen. Auch Fotojournalist:innen sollten sich grundlegend die Frage stellen, in welchem Handlungsnetzwerk sie stehen und was ihre Agenda ist.
[1] Insgesamt gehörten folgende Fotograf:innen zum Fotoprogramm: Charlotte Brooks, Esther Bubley, Marjory Collins, Harold Corsini, Jack Delano, Arnold Eagle, Walker Evans, Theodor Jung, Dorothea Lange, Russell Lee, Sol Libsohn, Carl Mydans, Martha McMillan Roberts, Gordon Parks, Marion Post Wolcott, Edwin Rosskam, Louise Rosskam, Arthur Rothstein, Richard Saunders, Ben Shahn, John Vachon, Todd Webb (vgl. Wikipedia 2024).
[2] Bei der Differenzierung von ‘image‘ und ‘picture‘ beziehe ich mich auf die Überlegungen von T.J. Mitchell vgl. unter anderen Beitrag in Herta Wolf (Wolf 2011).
Baldwin, S. (2018). Poverty and Politics: The Rise and Decline of the Farm Security Administration. The University of North Carolina Press.
Bauernschmitt, L., & Ebert, M. (2015). Handbuch des Fotojournalismus: Geschichte, Ausdrucksformen, Einsatzgebiete und Praxis (1. Auflage). dpunkt.verlag.
Bussemer, T. (2005). Einleitung. In Propaganda: Konzepte und theorien (S. 11–60). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11182-5_1
Carol, Q. (2019). Dorothea Lange, Documentary Photography, And Twentieth-Century America: Reinventing Self and Nation (1.Aufl.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9780429028151
Farm Security Administration. (2024). In Wikipedia (Hrsg.), Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Farm_Security_Administration
Goetz, J., Krupp, G., Meschede, F., Park, H.-U., & Schiffermüller, D. (2022, Mai 10). Henri Nannen: Antisemitische Propaganda im Zweiten Weltkrieg.
Koltermann, F. (2021, Oktober 8). Fotojournalismus 2.0.
Maletzke, G. (1972). Propaganda: Eine begriffskritische Analyse. Publizistik, 17. Jg. Heft 2, 153–164.
Newhall, B. (1949). The History of Photography from 1839 to Present Day. Museum of Modern Art.
Solomon-Godeau, A. (2011). Wer spricht so? In Diskurse der Fotografie (1. Aufl., [Nachdr.], S. 53–74). Suhrkamp.
Stein, S. (2020). Migrant mother, migrant gender: Reconsidering Dorothea Lange’s iconic portrait of maternity (First edition). MACK.
Stumberger, R. (2007). Klassen-Bilder. Herbert von Halem.
Vowinckel, A. (2016). Agenten der Bilder: Fotographisches Handeln im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag.
Wolf, H. (Hrsg.). (2011). Diskurse der Fotografie (1. Aufl., [Nachdr.]). Suhrkamp.
Schmale, Felix. “Die Farm Security Administration und die Dokumentarfotografie”.
In Fotojournalismus.net. Dortmund. https://fotojournalismus.net/fsa/ (01. April 2024).