von Felix Schmale [01.04.2024]
Zur grundsätzlichen Ortsbestimmung des Fotojournalismus ist es sinnvoll, den Fotojournalismus als solchen zu definieren. Dies kann aus der Sicht des Berufsfeldes (also von Fotojournalist:innen, Fotoredakteur:innen u. Ä.) oder aus Sicht der Theorie (Journalistik/Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft, Fototheorie) passieren.
Tim Gidal (1972) schrieb bereits: »Photojournalismus – das Wort sagt es – meint die visuelle Erweiterung des Journalismus« (Gidal, 1972, S. 5). Nach Freund (1977), welche selbst als Fotojournalistin arbeitete, bestand »[d]ie Aufgabe der ersten Photoreporter […] darin, einzelne Aufnahmen zu machen, um eine Geschichte zu illustrieren«. Der »Photojournalismus« findet ab dem Zeitpunkt statt, an dem die Bilder nicht als Illustration genutzt werden, sondern als eigenständiges journalistisches Stück funktionieren und der Text nur in Form von Bildunterschriften existiert (Freund, 1977, S. 122).
Als weitere Definition aus Praktiker:innen Perspektive lässt sich der von Rossig aus dem Jahr 2014 heranziehen. Dort definiert Rossing den Fotojournalismus vordergründig als »Geschichten erzählen in Bildern« (vgl. Rossig, 2014, S. 11). An erster Stelle steht das journalistische Handwerk und das Fotografische kommt auf dem zweiten Rang (ebd.). Darüber hinaus ist die Orientierung am »journalistischen Berufsethos´« Grundlage für das Handeln (Rossig, 2014, S. 11). Michael Ebert schreibt: »Fotografie und Journalismus. Das bedeutet, Ereignisse, Zusammenhänge mit Bildern zu erzählen und in der Presse zu veröffentlichen.« (Bauernschmitt & Ebert, 2015, S. 1).
Der DJV (Deutscher Journalisten-Verband e.V. – Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten) definiert das Berufsbild der Fotojournalist:innen wie folgt: »Bildjournalistinnen und -journalisten vermitteln visuelle Informationen über Vorgänge, Ereignisse und Sachverhalte z. B. in Form von Fotos, bewegten Bildern, Informationsgrafiken, Pressezeichnungen und Karikaturen. Bildjournalistinnen und Bildjournalisten arbeiten als Angestellte oder Freie für Printmedien, elektronische und digitale Medien, Agenturen, Pressebüros sowie im Bereich der Medienkommunikation.« (DJV, 2022, S. 6).
In dieser Definition wird vom Bildjournalismus gesprochen, welche neben dem stehenden Bild auch das bewegte Bild miteinschließt. Heute wäre dafür eine gängige Bezeichnung der ‘visuelle Journalismus‘, der neben dem Stand- und Bewegtbild auch jegliche Art der Daten- und Informationsvisualisierung einbezieht (vgl. Koltermann, 2021, S. 85; Grittmann, 2022, S. 230).
Eine weitere Definition von Fotojournalismus kommt von Campell-2013: »[…] photojournalism refers to the photographic practice in which someone tells a story about some aspect of their world, where this story is compiled first using lens-based imaging technologies that have a relationship with that world. This encompasses what is called documentary photography or editorial photography, but excludes works of visual fiction and those produced with computer-generated images. It also means that what counts as photojournalism is no longer dependent on its association with print publications.« (Campbell, 2013, S. 11).
Campell ordnet ein, dass der Fotojournalismus nach seiner Definition nicht mehr davon abhängig ist, in der gedruckten Presse veröffentlicht zu werden. Darüber hinaus schließt er alle Arbeiten unter dem Begriff 'photojournalism' ein, die sich der Wirklichkeitstreue verschrieben haben, dies würde somit auch dokumentarische Methoden einbeziehen, die sich nicht streng an fotojournalistischen Berufsnormen orientieren.
Theoretische Positionen, welche versuchen, das Wesen des Fotojournalismus zu vermessen, gehen dazu erst einmal einen Schritt weiter zurück. Der wissenschaftliche Konsens in Deutschland ist, den (Foto)Journalismus systemtheoretisch zu erfassen (vgl. Grittmann, 2008, S. 12). Dabei stehen »[n]icht die handelnden Individuen wie Journalisten, nicht die einzelnen Redaktionen, sondern die Systemlogik […] im Vordergrund« (ebd.). (Foto)Journalismus wird als »soziales Funktionssystem« (ebd.) mit der grundlegenden und ausschließlichen Funktion der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung bestimmt.
Der Fotojournalismus stellt eine besondere Konstruktion dar, weil er sowohl im System Journalismus existiert als auch im System Fotografie (vgl. Grittmann, 2008, S. 15). Jeweils mit den spezifischen Paradigmen und Codes des Systems. Aus der Sicht der Journalistik ist er eine »spezifische Variante des Journalismus« (ebd.) oder als ein journalistisches »Subsystem« (Grittmann, 2007, S. 260ff) zu verstehen. Er ist somit an die Leitlinien des Journalismus gebunden. Dazu gehören etwa der Pressecodex oder das Selbstbild des Berufsstands, wie eingangs schon bei Rossig (2014) als 'Berufsethos' beschrieben. Dazu kommen die Orientierung an Nachrichtenfaktoren, insbesondere der Nachrichtenfaktor ‘Aktualität‘ (vgl. Grittmann & Koltermann, 2022, S. 11). Darüber hinaus ist »der Anspruch auf Authentizität […] eine zentrale Berufsnorm« (Grittmann, 2019, S. 129), welche in der Fototheorie auf verschiedenen Quellen fußt. So orientiert sich der Fotojournalismus, fototheoretisch gesprochen, an den Überlegungen von Charles Sanders Peirce zur Indexikalität von Fotografie. Der Index oder die Zeichentheorie des Index »also jener Zeichen, deren Erscheinen auf physischen Relation zum Bezeichneten beruht« (Wortmann, 2004, S. 14), damit ist gemeint, dass es einen scheinbar physischen Bezug zwischen dem Abbild und dem abgebildeten Objekt gibt, wie etwa bei einem Foto (Abbild) und einem fotografierten Gegenstand (bspw. ein Haus).
Für Koltermann (2020) lässt sich das Berufsfeld in zwei Berufsrollen aufteilen: Auf der einen Seite stehen die produzierenden Fotojournalist:innen und auf der auftraggebenden und distribuierenden Seite die Fotoredakteur:innen. Wobei nach Koltermanns Differenzierung und Kobre (2017, S. 400ff) eine Vermischung der beiden Rollen zu beobachten ist.
Koltermann (2020) unterscheidet zwischen zwei Strömungen im Fotojournalismus: der Dokumentarfotografie und der Nachrichtenfotografie. Diese Unterscheidung erscheint auf den ersten Blick praktisch, ist aber bei genauerer Betrachtung unscharf. Aus einer fototheoretischen Perspektive ist der Fotojournalismus Teil der Dokumentarfotografie (oder allgemeiner: des Dokumentarischen) (vgl. Fromm, 2013; Lockemann, 2008). Seine Begriffsdefinition leitet sich mutmaßlich aus der zeitgenössischen Praxis ab, in welcher die Bezeichnung Dokumentarfotografie oft analog zum Fotojournalismus verwendet wird. Gerade im Hinblick auf die »Vielzahl von Begriffen […], die eine große begriffliche Unschärfe aufweisen, wie u. a. Pressefotografie, dokumentarische Fotografie, Nachrichtenbilder, Ereignisfoto« (Grittmann, 2019, S. 127) ist es wichtig, eine einheitliche Sprache über den Fotojournalismus zu finden.
Eine präzisere Differenzierung gestaltet sich komplexer, da es einerseits um handelnde Personen und andererseits um Bilder geht. Sowohl die Akteur:innen als auch die Bilder sind systemmobil, d.h. sie können dem System des Fotojournalismus zugeordnet werden, aber auch außerhalb dessen existieren. Fotojournalist:innen können auch als Fotograf:innen tätig sein, die nicht den berufsethischen Normen des Fotojournalismus oder Nachrichtenfaktoren unterliegen. Dies ist beispielsweise im Kontext von künstlerischer und werblicher Fotografie der Fall. Ebenso verhält es sich mit den Bildern, da das gleiche Bild sowohl in einem journalistischen als auch in einem anderen Kontext publiziert werden kann.
Daraus lässt sich schlussfolgern: Dem Fotojournalismus sind alle Individuen und Bilder zuzurechnen, die sich an den berufsethischen Normen des Journalismus, wie zum Beispiel an denen des Pressekodex und anhand von Nachrichtenfaktoren, besonders den Faktoren der Aktualität und der gesellschaftlichen Relevanz orientieren. Bilder, die nicht unter journalistischen Bedingungen entstanden sind (also z.B. Material aus PR) oder aus nicht-journalistischen Quellen stammen (bspw. Aufnahmen von 'citizen journalists'), werden hier nicht dem Fotojournalismus zugerechnet.
Bauernschmitt, L., & Ebert, M. (2015). Handbuch des Fotojournalismus:
Geschichte, Ausdrucksformen, Einsatzgebiete und Praxis (1. Auflage). dpunkt.verlag.
Campbell, D. (2013). Visual Storytelling in the Age of Post-Industrialist Journalism. World Press Photo Academy.
DJV. (2022). DJV Wissen 4: BERUFSBILD JOURNALISTIN –JOURNALIST. https://www.djv.de/fileadmin/user_upload/Der_DJV/DJV_Infobroschüren/DJV_Wissen_4_Berufsbild_Journalist_Torstr_JVBB.pdf
Freund, G. (1977). Photographie und Gesellschaft. Büchergilde Gutenberg.
Fromm, K. (2013). Das Bild als Zeuge – Inszenierungen des Dokumentarischen in der künstlerischen Fotografie seit 1980.Humboldt-Universität zu Berlin.
Gidal, T. (1972). Deutschland: -- Beginn des modernen Photojournalismus. Bucher.
Grittmann, E. (2007). Das politische Bild: Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie. H. von Halem.
Grittmann, E. (Hrsg.). (2008). Global, lokal, digital: Fotojournalismus heute. Halem.
Grittmann, E. (2019). Fotojournalismus und journalistische Bildkommunikation in der digitalen Ära. In K. Lobinger (Hrsg.), Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung (S. 125–143). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06508-9_7
Grittmann, E. (2022). Von Fotojournalist*innen zu unabhängigen Bildautor*innen – Elke Grittmann im Gespräch mit Karen Fromm und Dirk Gebhardt. In F. Koltermann (Hrsg.), Fotojournalismus im Umbruch: Hybrid, multimedial, prekär. Herbert von Halem Verlag.
Grittmann, E., & Koltermann, F. (Hrsg.). (2022). Fotojournalismus im Umbruch: Hybrid, multimedial, prekär. Herbert von Halem Verlag.
Kobre, K. (2017). Photojournalism: The professionals’ approach (7th edition). Routledge/Taylor & Francis Group.
Koltermann, F. (2020, Februar 11). Fotojournalismus | Journalistikon. https://journalistikon.de/fotojournalismus/
Koltermann, F. (Hrsg.). (2021). Corona und die journalistische Bildkommunikation: Praktiken und Diskurse des Visuellen (1. Auflage). Nomos.
Lockemann, B. (2008). Das Fremde sehen: Der europäische Blick auf Japan in der künstlerischen Dokumentarfotografie. Transcript.
Rossig, J. J. (2014). Fotojournalismus (3., völlig überarb. Aufl). UVK-Verlagsgesellschaft.
Wortmann, V. (2004). Die Magie der Oberfläche. Zum Wirklichkeitsversprechen der Fotografie. In S. Schneider, S. Grebe, & Ruhrlandmuseum Essen (Hrsg.), Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien .
Schmale, Felix. “Fotojournalismus – Ortsbestimmung”.
In Fotojournalismus.net. Dortmund. https://fotojournalismus.net/fotojournalismus/ (01. April 2024).
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