von Felix Schmale [01.04.2024]
Um die zeitgenössische fotojournalistische Praxis auf eine digitale, postfaktische und globalisierte Welt vorzubereiten, müssen Schritte unternommen werden. Es ist wichtig, die Legitimität des Journalismus, insbesondere des Fotojournalismus, zu stärken und seine Widerstandsfähigkeit zu verbessern.
Fotojournalist:innen handeln auch heute noch mit ihrer Kamera nach dem Barthesschen Paradigma von »Es-ist-so-gewesen.« (Barthes 1986, 86ff). Der Fotojournalismus kann in seinem Wesen in verschiedene Weisen bestimmt werden, dennoch ist die Essenz aus den verschiedenen Standpunkten, dass Geschichten mit Bildern erzählt werden. Fotojournalismus steht als System immer in Abhängigkeit zum Zeitgeschehen und auch zum politischen System. So ist die Grundvoraussetzung für journalistisches Handel vor allem die Pressefreiheit und somit tendenziell eher in demokratischen Ländern zu finden. Diese Systeme sind ein fragiles Konstrukt und befinden sich im stetigen Wandel.
Die Konzeption des Fotojournalismus lässt sich historisch nicht auf eine einzelne Person zurückführen. Sie ist vielmehr ein Zusammentreffen verschiedener technischer wie auch gesellschaftlicher Entwicklungen in den USA und Europa. Zeitlich ist hier auch weniger ein genaues Datum als eine Spanne festzuhalten. So beschreibt etwa Weise (1989), dass es entgegen verschiedener Stimmen, schon um das Jahr 1880 einen Markt für Fotografie im Journalismus gegeben habe. Entgegen der viel rezipierten Stimmen (z.B. Gidal 1972), dass der Fotojournalismus um die 1920er Jahre von einer kleinen Gruppe deutscher 'Pioniere' erfunden wurde.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Fotojournalismus eine Erfindung der westlichen Welt ist. Einzelne hochgebildete und hochmobile Akteur:innen bewegen sich mit der Kamera durch die Welt, um Bilder einzufangen und diese an die heimische Presse zu verkaufen. Die gegenwärtige Praxis von Fotojournalist:innen geht davon aus, dass die Welt nicht global vernetzt ist. Aufträge an lokale Fotograf:innen werden nur herausgegeben, um Kosten zu sparen. Hier geht es also um ökonomische Bedingungen und weniger darum, die Qualität der Berichterstattung zu verbessern und unterrepräsentierte Fotografierenden auf die Bühne zu rücken.
Die globale visuelle Öffentlichkeit hat sich seit dem Aufkommen des Fotojournalismus verändert. In der Zeit vor dem Internet war es nicht möglich, visuelle Inhalte aus der ganzen Welt zu erhalten, ohne dass Fotojournalisten dorthin geschickt wurden [1]. Magazine schickten ihre Fotograf:innen in alle Teile der Welt, um dort Geschichten für die heimische Presse zu fotografieren. Heute kann praktisch jede Person mit einem internetfähigen Mobiltelefon an der internationalen Bildöffentlichkeit teilhaben.
Im aktuellen post-digitalen Zeitalter, in dem nicht mehr nur von einzelnen Bildern die Sprache sein kann, sondern von Bildern die in einem Netzwerk [2] aus verschiedensten Artefakten fotografischer und nicht fotografischer Natur zusammen stehen, wäre eine Abkehr von einzelnen Bildern von einzelnen Autor:innen, wie es im Fotojournalismus noch der Status quo ist sicherlich eine produktive Überlegung wert. Grundlegend geht es hier um die Rolle der Sprechenden – oder besser der Fotografierenden. Im Weiteren geht es um Machtverhältnisse, also, wer aktuell eine Deutungshoheit hat und wer in Zukunft ein Stück von dem Kuchen abgeben muss.
Es stellt sich die Frage, wie der Berufszugang zugänglicher und holistischer gestaltet werden kann. Zudem sollte die Vernetzung von Forschung und Lehre berücksichtigt werden. Dieser Text soll als Impuls für weitere Überlegungen dienen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kann je nach Lesart auch als Manifest für einen Fotojournalismus 3.0 [3] gelesen werden. Ziel ist es, die aktuelle Situation kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, was genau notwendig ist und wie dorthin zu gelangen ist. Es soll Ausgangspunkt für eine erwünscht kontroverse, aber dennoch fruchtbare und konstruktive Diskussion sein.
[1] Theoretisch war es möglich auch in einem Prä-Internet Zeitalter Bilder etwa per Bildtelegrafie oder als Drucke durch die Welt zu senden. Die Hoheit über die fotografierten Bilder, die dementsprechend auch in der Welt rezipiert wurden, lag ausschließlich bei Fotojournalist:innen.
[2] Hierzu siehe auch Dewdney & Sluis (Dewdney und Sluis 2022): »The Networked Image in Post-Digital Culture«.
[3] Vor einigen Jahren hielt Felix Koltermann einen Vortrag mit dem Titel 'Fotojournalismus 2.0' (2021b). In meiner Ausführung werde ich einige seiner Gedanken aufgreifen, jedoch im Wesentlichen grundlegende Neukonstruktionen vorschlagen.
Es stellt sich die Frage, wie der Berufszugang zugänglicher und holistischer gestaltet werden kann. Zudem sollte die Vernetzung von Forschung und Lehre berücksichtigt werden. Dieser Text soll als Impuls für weitere Überlegungen dienen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kann je nach Lesart auch als Manifest für einen Fotojournalismus 3.0 [3] gelesen werden. Ziel ist es, die aktuelle Situation kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, was genau notwendig ist und wie dorthin zu gelangen ist. Es soll Ausgangspunkt für eine erwünscht kontroverse, aber dennoch fruchtbare und konstruktive Diskussion sein.
Grundvoraussetzung für Fotojournalismus ist die Pressefreiheit. Damit einhergehend die Legitimität für das journalistische Handeln innerhalb der Gesellschaft. Das ist nicht als Einbahnstraße zu verstehen, so wird von journalistisch handelnden Akteur:innen ebenfalls erwartete sich an einen berufsethischen Kodex zu halten (z.B. Presscodex), dazu kommt die Gemeinnützigkeit. Hierzu orientiere ich mich an den Leitlinien des »Forum gemeinnütziger Journalismus« (vgl. Forum gemeinnütziger Journalismus 2021). Die Leitlinien sind in drei Säulen aufgebaut: Redlicher Umgang mit Recherchen und Veröffentlichungen, Transparenz und Selbstlosigkeit. Diese richten sich in Ihrer Gestalt an Redaktionen und Organisationen, weniger an Einzelpersonen. Dennoch möchte ich die Grundgedanken herausarbeiten und auf fotojournalistische Akteur:innen herausarbeiten.
Die Säule 'Redlicher Umgang mit Recherchen und Veröffentlichungen' könnte auch als die Säule der fairen, unparteiischen und ehrlichen Arbeit bezeichnet werden. Die Leitlinien beziehen sich insgesamt auf acht verschiedene Punkte. Die ersten Punkte betreffen die Wahrung der Menschenwürde, das Bekenntnis zur Demokratie und zum Grundgesetz sowie sorgfältige und faire Recherche und Veröffentlichung. Informationen über Einzelpersonen werden nur veröffentlicht, wenn sie im presserechtlichen Sinne das Interesse der Öffentlichkeit tangieren. Die eigene Arbeit erfolgt gemäß den selbst auferlegten Statuten, in denen die eigene Arbeit beschrieben und die Methoden und Vorgehensweisen bei Recherche und Veröffentlichung niedergelegt sind. Fehler werden öffentlich gemacht, korrigiert und gekennzeichnet. Es wird erwartet, dass eine Richtigstellung veröffentlicht wird. Die verwendeten Quellen müssen transparent gemacht werden. Es sollte angegeben werden, wer an der Recherche beteiligt war und woher die Informationen stammen. Falls diese Informationen nicht veröffentlicht werden können, muss der Grund oder die Gründe dafür angegeben werden. Das gesamte Handeln erfolgt im Rahmen der Normen und Richtlinien des Pressekodex.
An verschiedenen Stellen lässt sich hier für den Fotojournalismus anknüpfen. Das Bekenntnis zum Grundgesetz, zur Demokratie und die Achtung der Menschenwürde sind grundlegend für das fotojournalistische Handeln. Dies gilt nicht nur bei der Produktion von Bildmaterial, sondern auch bei dessen Veröffentlichung. Fotojournalistisches Arbeiten lebt davon, einzelne Personen als stellvertretend für einen größeren Sachverhalt auszuwählen. Letztendlich lässt sich hier in der Regel eine schlüssige Argumentation finden, warum diese Person nun der passende Stellvertreter:in für den Sachverhalt ist. Dabei sollte jedoch auch transparent gemacht werden, was unter Umständen unternommen wurde, um andere Personen einzubeziehen.
Bei der Aufstellung von Statuten für das eigene Handeln plädiere ich für Kohärenz. Berufsverbände könnten beispielsweise solche Richtlinien für ihre Mitglieder aufstellen. Eine Offenlegung der eigenen Methoden halte ich in der aktuellen Zeit für unumgänglich, da dadurch das Vertrauen in die publizierte Arbeit gestärkt wird. In diesen Statuten sollten auch fototheoretische Diskussionen aufgenommen werden. Beispielsweise darüber, was Fotografie in Bezug auf die Abbildung von Wirklichkeit überhaupt leisten kann.
Auch die Fehlerkultur ist ein wichtiger Aspekt. Alle Menschen machen Fehler. Es ist grundlegend für einen gemeinnützigen Fotojournalismus, offen und ehrlich über diese zu sprechen. Der Druck des fotojournalistischen Marktes lässt es in der Regel nicht zu, Fehler öffentlich einzugestehen, da dies zu großen ökonomischen Nachteilen führen könnte. Ein Mentalitätswechsel in den auftraggebenden Strukturen wäre sinnvoll.
Neben der fotografischen Arbeit sollte stets eine Dokumentation der Recherche bereitgestellt werden. Dabei ist es wichtig, offenzulegen, um welche Quellen es sich handelt. Unter besonderen Umständen müssen Quellen geschützt werden. In diesem Fall kann darauf in der Dokumentation eingegangen werden. Außerdem bietet sich hier die Möglichkeit, über Personen zu informieren, die die Recherche unterstützt haben (z.B. sogenannte 'Fixer' bei Auslandsrecherchen).
Fotojournalistisches Handeln ist nur unter Einhaltung des Pressecodex möglich. Der Pressecodex sollte jedoch im Allgemeinen genauer überarbeitet werden, was fotojournalistisches Handeln betrifft. Gerade bei Symbolbildern sollten Verbesserungen vorgenommen werden. Die Redaktionen sollten strenger darauf achten, welche Bilder verwendet werden können.
Das Thema Transparenz lässt sich als ökonomische Größe einordnen. Es geht darum offenzulegen, wie journalistische Vorhaben finanziert sind. Wer sind die Geldgeber:innen und wie wird das Vorhaben unter Umständen querfinanziert? Ein Großteil der Leitlinien lässt sich hauptsächlich auf Organisationen übertragen. Hierzu gehört speziell die Anerkennung zur Gemeinnützigkeit, die Einzelpersonen im steuerrechtlichen Sinne nicht erhalten können. Dazu kommt, dass einzelne Fotojournalist:innen niemandem außer sich selbst im betriebswirtschaftlichen Sinne Rechenschaft schuldig sind. Dennoch lassen sich die Punkte zur Transparenz über finanzielle Mittel gut übertragen.
So wäre es zu erwarten, dass Fotojournalist:innen darüber aufklären, wie sie ihre Arbeit finanzieren. Wer sind die Geldgeber:innen und könnten diese Geldgeber:innen auch eigenen Interessen verfolgen? Ein Beispiel hierfür wären etwa Preise und Stipendien. Unternehmen verfolgen oft ein Interesse bei der Auslobung von Preisen. Fotojournalist:innen sollten dies berücksichtigen und transparent machen. Auch bei Einzelpersonen sollte die Verwendung der Mittel transparent sein. Es sollte klar sein, wofür welche Mittel eingesetzt wurden. Dies ist angesichts des Aufwands für die Steuererklärung ohnehin notwendig.
Die Kollektivierung von Fotojournalisten ist kein neues Thema. Hierzu gibt es historische Beispiele, wie zum Beispiel das Kollektiv Magnum Photos. Es sollte stets darum gehen, Druck auf den vorherrschenden Markt auszuüben und nicht auf die Kolleg:innen. Diese Kollektive könnten sich als gemeinnützige Medienunternehmen verstehen und müssten nicht unbedingt Kollektive genannt werden. Steuerrechtlich könnten sie als Verein, gUG oder gGmbH organisiert sein. Diese Körperschaften könnten Förderungen durch öffentliche Mittel, wie beispielsweise EU-, Landes- oder Bundesmittel, sowie durch private Stiftungen beantragen. In diesen Organisationen könnten Mitarbeiter beschäftigt werden, die sich um Fundraising kümmern. Die Veräußerung von Zweitverwertungen könnte auch über ein eigenes Archiv im Haus erfolgen. Das Selbstverständnis von Fotojournalist:innen sollte sich dahingehend verändern, dass sie sich als Medienunternehmen verstehen und nicht als Zulieferer für andere Unternehmen. Dadurch ließe sich auch auf der Ebene der Nutzungsrechte Druck auf Verlage ausüben, wenn die Geschichten nicht verkauft werden müssen. Diese Organisationen könnten eigene Plattformen gründen, auf denen die Geschichten veröffentlicht werden, oder Dienstleistungen zur Verfügung stellen, um Geschichten für Verlage aufzubereiten.
An das Thema 'Selbstlosigkeit' der Leitlinien kann angeknüpft werden. Eine Möglichkeit wäre, die Fotograf:innen innerhalb des Kollektivs anzustellen und mit einem regelmäßigen Gehalt auszustatten. Die Organisation finanziert sich durch Fördermittel oder Einkünfte aus Dienstleistungen, die der Finanzierung der gemeinnützigen Tätigkeit dienen. Gemäß den Leitlinien des Forums kommen Gewinne, die die Organisation erwirtschaftet, dem gemeinnützigen Zweck zugute. Eine Gewinnausschüttung ist nicht möglich. Im Falle der Auflösung der Organisation muss das angehäufte Vermögen an eine andere Organisation gespendet werden, die gemeinnützigen Journalismus anhand der Leitlinien verfolgt. Das Gründungskapital ist hiervon ausgenommen.
Im wirtschaftlichen Sinne geht es darum, den Handel mit journalistischen Bildern kritisch zu betrachten. Journalistische Bilder sollten nicht als Ware gehandelt werden, da es dabei um das Recht am eigenen Bild geht. Der Handel mit Abbildungen von anderen Menschen, mit denen Geld erwirtschaftet wird, kommt nicht den Abgebildeten zugute, sondern den Fotografierenden und Publizierenden (vgl. Azoulay 2021). An dieser Stelle sollten grundlegende Überlegungen angestellt werden, wie journalistische Bilder kooperativ entstehen können. Eine Idee von Ariella Azoulay (2021) zu diesem Thema ist, den Apparat, der fotografische Bilder erzeugt, von den Akteur:innen zu entkoppeln und die Bilder innerhalb eines komplexen Netzwerks von Akteur:innen zu platzieren. Ein fotografisches Verständnis bezieht sich nicht nur auf die technologischen Aspekte, sondern auch auf die verschiedenen Akteur:innen, die am Bildschaffungsprozess beteiligt sind (vgl. Azoulay 2021, 41). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Fotograf:innen nicht hauptsächlich am Bildschaffungsprozess beteiligt sind, sondern nur eine kleine Rolle in einem übergeordneten gesellschaftlichen Gefüge spielen. Für Fotograf:innen ist es besonders wichtig, dass sie sich das Recht vorbehalten, das »monopoly on the outcome of the photographic encounter« (Azoulay 2021, 42) zu haben. Es handelt sich hierbei um einen innerfotografischen Diskurs, der geführt werden muss.
Dieser These folgend gehört journalistische Fotografie auch nicht in den Kunst-Kontext von Museen oder Galerien. Museen für Kunst sind Institutionen, die sich an ein kunstaffines Publikum richten und nicht den Zweck haben, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen, obwohl sie die Möglichkeit hätten. Gleiches gilt für Galerien, in denen es ausschließlich um die Kommodifizierung von Bildern geht, die für eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft bestimmt sind. Bei Überlegungen für ein neues Wirtschaftsmodell in der Fotojournalismus-Branche sollte die Entkommodifizierung journalistischer Bilder im Fokus stehen. Ausstellungen können eine Möglichkeit sein, um journalistische Arbeiten aufzubereiten und einem nützlichen Zweck für die Gemeinschaft zuzuführen. Dabei ist es wichtig, dass dies in Zusammenarbeit mit den Abgebildeten geschieht.
Anschließen lässt sich hier die Frage der Erzählweisen. Sophia Greiff (2022) wirft die Fragen auf: »Wie frei oder gar experimentell kann im Fotojournalismus erzählt werden? Welche tradierten Normen und Narrative sind in der heutigen Medienlandschaft noch funktional? Und welche Chancen liegen in einer Öffnung für neue Formen des journalistischen Berichtens?« (Greiff 2022, 407). Meiner Ansicht nach könnten zwei Stränge verfolgt werden. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der journalistischen Berichterstattung wäre die Entwicklung eines neuen Pressekodex mit Blick auf fotografische Inhalte, d.h. eine zeitgemäße Neuinterpretation dessen, was Fotografie in der journalistischen Berichterstattung leisten kann und wie die Rezipient:innen besser über die Produktionsbedingungen aufgeklärt werden können. Eine Lockerung der Handlungsnormen könnte zudem dazu beitragen, andere Zielgruppen zu erreichen, die nicht mit dem klassischen Magazin sozialisiert wurden (vgl. Greiff 2022, 419).
Wie lassen sich diese Vorstellungen in die Praxis zu übertragen? Dafür braucht es in meiner Vorstellung verschiedene Komponenten. Zu diesen gehören folgenden:
Um die Ausgangslage des Fotojournalismus zu verstehen, sollten praktische und angewandte Forschungsprojekte an den Orten und Institutionen durchgeführt werden, an denen Fotojournalist:innen ausgebildet werden. Ein Forschungsnetzwerk [4], das die verschiedenen Akteur:innen im deutschen Fotojournalismus vernetzt, wäre dafür sinnvoll. Unter der Vernetzung versteht sich die Verbindung von Orten, an denen praktische Ausbildungen für Fotojournalisten stattfinden, mit Orten, an denen Fotojournalismus im weitesten Sinne erforscht wird. In diesem Netzwerk sollten auch Institutionen vertreten sein, die Journalist:innen im weitesten Sinne ausbilden (von den großen Journalist:innenschulen bis zu den universitären Ausbildungen für Journalist:innen).
Wie bereits von Pöttker (2023) festgestellt wurde, fehlt es den Ausbildungsstätten für Journalist:innen an einer umfassenden Geschichtsschreibung der journalistischen Berufe vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart, um zu verstehen, wie sich der Beruf und das Berufsfeld entwickelt haben. »Aus diesem Mangel ist u. a. zu erklären, warum die Hochschulforschung kaum fähig scheint, dem Journalistenberuf zu helfen, seine gegenwärtige Krise zu überwinden.« (ebd.). Dem hinzuzufügen ist, ebenfalls das Argument von Fred Richtchin (2019), dass der Fotojournalismus ein Selbstverständnis aus dem 20. Jahrhundert hat.
Der Weg in den Beruf muss niederschwelliger gestaltet werden. So muss es Menschen mit den verschiedensten Biografien möglich sein, (Foto-)Journalist:in, zu werden [5]. Die Ausbildung an den Hochschulen muss zukunftsgerichteter werden. Damit ist gemeint, dass Studierende zu Bildexpert:innen werden müssen, die nicht unbedingt fotografierend Arbeiten, sondern auch z.B. in Bereichen der Bildforensik tätig sein können. Dazu kommen betriebswirtschaftliche Perspektiven, die zum Beispiel Neugründungen von Medienunternehmungen vorantreibt.
Im Anbetracht aktueller Debatten, sollte die Fotojournalist:innen-Ausbildung an Hochschulen auch gesellschaftswissenschaftliche Komponenten beinhalten. Es wäre sinnvoll Fotojournalist:innen mit einer grundständigen journalistischen Ausbildung auszustatten, z.B. durch Kooperationen mit Journalist:innenschulen oder Journalismus Studiengängen. Sodass Fotojournalist:innen sich als Journalist:innen verstehen und nicht nur als Bildlieferant:innen. Allgemein lässt sich über die Situierung der Fotojournalist:innen- Ausbildung streiten. Koltermann (Koltermann 2019) vermerkt, dass die Ausbildung dieser im Ausland an den Journalismus Hochschulen stattfindet, wie etwa in den USA oder Dänemark und nicht wie es in Deutschland üblich ist an Fachhochschulen mit dem Schwerpunkt in der Gestaltung/Design.
Möglichmacher für einen breiteren Zugang zum Fotojournalismus sind für mich die Hochschulen und Universitäten [6]. Diese könnten mithilfe von Public-private-Partnerships Institutionen (z.B. Stiftungen, Vereine, gemeinnützige Körperschaft) gründen, die sich der 'Diversifizierung' des Journalismus hingeben. Die Finanzierung könnte über öffentliche Gelder (Bund, Land, EU) oder Stiftungsvermögen (Demokratieförderung o.ä.) stattfinden. Diese neugegründeten Institutionen könnten zum einen finanzielle Förderung für einzelne Personen bereitstellen und auf der anderen Seite den Transfer von Forschungsergebnissen aus den Hochschulen in die Breite Öffentlichkeit tragen. Das könnte zum Beispiel über kostenlose und niederschwellige Workshops in Bildungseinrichtungen aller Art passieren.
Bernhard Pörksen fordert die Einführung eines Schulfachs, dass die Rezeption von Journalismus und Medien im Allgemeinen in den Fokus nimmt (vgl. Pörksen 2023). In diesem Zusammenhang spricht er davon, den geschützten Raum der Institution Schule zu nutzen um experimentell Medien zu entschleunigt zu rezipieren, reflektieren und zu diskutieren. Der Ort der Schule spielt dabei eine zentrale Rolle: »[D]ie Laborsituation der Schule erlaubt den Kraftakt der reflektierten Distanznahme zu einer scheinbar naturwüchsig und alternativlos erscheinenden Wirklichkeit.« (ebd.).
Medienunternehmen müssen ihre Strategien ändern und Redaktionen neu aufstellen. Die Leitlinien für den Fotojournalismus der Zukunft setzen grundlegende strukturelle Veränderungen voraus. Asymmetrische Machtverhältnisse innerhalb von Medienunternehmen und speziell innerhalb der Redaktionen müssen aufgebrochen werden. Menschen mit internationalen Biografien, ohne Studium, mit Behinderung oder Kinder müssen in die Struktur eingebunden werden. Dadurch kann ein Abbild der tatsächlichen Gesellschaft geschaffen werden.
Die Finanzierung von Fotojournalist:innen sollte stabil sein und eine Abhängigkeit von Auftraggeber:innen außerhalb des Journalismus vermieden werden. Dadurch könnte in der Theorie ein Interessenkonflikt bei der Berichterstattung vermieden werden. Im Idealfall sind Fotojournalist:innen festangestellt und Teil einer Redaktion. Dadurch kann ein enger Austausch zwischen Produktion und Distribution von visuellen Inhalten sichergestellt und optimiert werden.
Eine Möglichkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, besteht in einer Honorarstruktur. Die üblichen Honorare für Aufträge/Tagessätze liegen im Schnitt zwischen 350 und 450€ (zzgl. MwSt. und vor Einkommenssteuer, Krankenversicherung, etc.). Es ist schnell klar, wie viele Aufträge pro Monat notwendig sind, um zu überleben. Es ist nicht möglich, ausschließlich von journalistischen Fotoaufträgen zu leben. Einige könnten argumentieren, dass es sich immer um eine Mischkalkulation handelt, dass unter der Prämisse, dass Journalismus für den Erhalt einer Demokratie von grundlegender Bedeutung ist, möglichst alles vermieden werden sollte, um Interessenskonflikte und einen hohen Konkurrenzkampf zu vermeiden. Hinzu kommt, dass es ausdrücklich erwünscht ist, dass die unterschiedlichsten Perspektiven in den Journalismus einfließen. Unter diesen ökonomischen Bedingungen können sich vor allem Menschen leisten, die bereits einer bestimmten sozialen Klasse angehören und auf das dadurch entstehende Kapital zurückgreifen können.
Ein Ansatz könnte sein, lokaler und entschleunigter zu denken. Dabei geht es um die konkrete Auseinandersetzung mit einem begrenzten Raum. In seiner formalen Gestalt ist Lokalzeitung längst zeitlich überholt, aber ein Ansatzpunkt für Umstrukturierungen oder Neugründungen. Hier stelle ich mir eine lokale Publikation vor, die nicht tagesaktuell berichtet, sich mit der sozialen Struktur und Demografie vor Ort auskennt und dies in der Zusammensetzung der Redaktion auch widerspiegelt. Die Berichterstattung sollte sowohl über analoge Medien rezipierbar sein (sei es in der Form von Zeitung, Magazin, Brief-Artige-Mitteilungen) und digital über eine Webseite, Social-Media-Plattformen oder Newsletter. Hierfür könnte, gerade in kleinen Ortschaften, eine Bedarfsanalyse gemacht werden. Die Einbindung der lokalen Bevölkerung sollte an oberster Stelle stehen, eigens dafür geschulte Redakteur:innen sollte den Anliegen der Leser:innen nachgehen. Augenhöhe, Erreichbarkeit und Transparenz sollte dabei eine zentrale Rolle spielen. Mit Hilfe von Bürger:innendialogen, Vortragsreihen, Workshops und anderen Gemeinschaftsformenden Formaten soll die Gemeinschaft gestärkt werden. Sprache spielt dabei auch eine Rolle, welche Sprachen werden im Ort gesprochen, kann die Berichterstattung unter Umständen auf all diesen Sprachen berichten um Leser:innen abzuholen.
Die Partizipation von Menschen außerhalb des Journalismus sollte an oberster Stelle stehen. Bürgerdialoge und Bedarfsabfragen sind hierbei wichtige Instrumente. Die Leser:innen müssen im Zentrum der Berichterstattung stehen und aktiv eingebunden werden. Dabei würde ich von nutzerzentrierter Kommunikation sprechen, nicht in dem Sinne, dass die Wünsche oder Meinungen der Leser:innen ungeprüft übernommen werden, sondern in dem Sinne, was den Leser:innen zugetraut werden kann und wie es möglich ist, Transparenz zu schaffen und Geschichten niederschwellig, aber dennoch komplex zu erzählen. Über 'Redaktions-Residenzen', also eine Art Hospitanz, könnten verschiedene Menschen in die Redaktion geholt werden und mit ihren Lebenserfahrungen die Berichterstattung bereichern.
Gerade im Hinblick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage in Deutschland muss versucht werden, möglichst viele Menschen für eine ausgewogene und an den Leitlinien der Demokratie orientierte Berichterstattung zu begeistern. Eine gesunde Demokratie kann nur bestehen, wenn der Journalismus seinen Aufgaben nachkommt und auch nachkommen kann - sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Insgesamt halte ich das Potenzial von Bildern für falsch genutzt. Es muss ein bewussterer Umgang mit ihnen stattfinden, um ihr volles Potenzial zu entfalten, von dem wir aktuell auch nicht wissen, was es ist.
[4] wie z. B.: das DFG-Sonderforschungsprogramm 'Das digitale Bild' an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Philipps-Universität Marburg. https://www.digitalesbild.gwi.uni-muenchen.de
[5] Hier wäre auch der Vermerk wichtig, dass die Berufsaussichten im Journalismus monetär ungünstig sind. Es somit auch eine Frage des Startkapitals ist, ob eine Ausbildung im Journalismus überhaupt möglich ist.
[6] Ebenso wäre es vorstellbar unter lukrativen Bedingungen, Fotojournalist:innen innerhalb von Verlagen auszubilden, im Sinne einer klassischen Berufsausbildung. Dafür muss das Gehalt stimmen.
Azoulay, A. A. (2021). Toward the Abolition of Photography’s Imperial Rights. In K. Coleman & D. James, Capitalism and the Camera: Essays on Photography and Extraction (S. 41–67).
Barthes, R. (1986). Die helle Kammer: Bemerkung zur Photographie (2., durchges. Aufl). Suhrkamp.
Dewdney, A., & Sluis, K. (2022). The Networked Image in Post-Digital Culture (1. Aufl.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781003095019
Forum gemeinnütziger Journalismus. (2021). Leitlinien für gemeinnützigen Journalismus veröffentlicht. https://forum-gemeinnuetziger-journalismus.de/leitlinien/
Gidal, T. (1972). Deutschland: -- Beginn des modernen Photojournalismus. Bucher.
Greiff, S. (2022). Zwischen Fakt und Erfahrbarkeit – Erzählen an den kreativen Rändern des Fotojournalismus. In E. Grittmann & F. Koltermann (Hrsg.), Fotojournalismus im Umbruch: Hybrid, multimedial, prekär (S. 405–431). Herbert von Halem Verlag.
Koltermann, F. (2019). Auf dem Weg zur Fotojournalistik. Journalistik, 3/2019, S. 211-217. https://doi.org/10.1453/2569-152X-32019-10155-de
Koltermann, F. (2021, Oktober 8). Fotojournalismus 2.0.
Pörksen, B. (2023). Die redaktionelle Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/diskurskultur-2023/541847/die-redaktionelle-gesellschaft/
Weise, B. (1989). Pressefotografie. I. Die Anfänge in Deutschland, ausgehend von einer Kritik bisheriger Forschungsansätze. FOTOGESCHICHTE Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie., Heft 31, 15–40.
Schmale, Felix. “Utopie – Fotojournalismus 3.0”. In Fotojournalismus.net. Dortmund.
https://fotojournalismus.net/fotojournalismus-3-0/ (01. April 2024).
fotojournalismus.net – ISSN: 2943-324X – Impressum + Datenschutz