von Felix Schmale [01.04.2023]
Den Einzug von Fotografie-ähnlichen Abbildungen in die gedruckte Presse, soll es schon zu Zeiten der Daguerreotypie gegeben haben. Zumeist handelt es sich um Radierungen oder Holzschnitte und somit Kopien, die auf die Rezipient:innen als scheinbar indexikalische Abbildung wirken sollten (Vowinckel, 2016, S. 55; Wilking, 1990, S. 29). Das erste tatsächliche Foto wurde am 4. März 1880 im »Daily Graphic«, eine New Yorker Zeitung, veröffentlicht (vgl. Freund, 1977, S. 116). Im Laufe der nächsten Jahrzehnte erlangt das Foto in der Zeitung an Popularität. Stets gebunden an die, durch die Industrialisierung bedingten, technischen Fortschritte. In den folgenden Jahrzehnten fand das Foto nur zögerlich in den Mainstream. Die Reproduktion von Fotos in Zeitung erfordert spezielle Maschinen, welche mit hohen Investitionskosten verbunden sind. Daher sind Fotos erst einige Jahrzehnte später, um 1920, vor allem in Illustrierten Magazin mit längerem Produktionsvorlauf zu finden (Freund, 1977, S. 117; Vowinckel, 2016, S. 55).
In der Arbeit »Lokaler Fotojournalismus« (2023) wurde bereits festgehalten: Der Einsatz von Fotografie in journalistischen Printmedien lässt sich nach Bauernschmitt und Ebert (2015, S. 113) in illustrativen-, journalistischen- und dramaturgischen Einsatz unterscheiden. Anders als etwa Blum und Bucher (1998, S. 64), die in sechs verschiedene Bildtypen unterscheiden. Beim illustrativen Einsatz geht es ausschließlich darum, die Thesen eines Textes zu untermauern und die Glaubwürdigkeit des Textstückes zu verifizieren. Ein journalistisch eingesetztes Foto sind Einzelbilder oder Reportagen, die als eigenständiges Stück konzipiert wurden und neue Informationen über den geschriebenen Text hinausgeben. Dabei stehen Bild und Text zwar in einem thematischen Zusammenhang, können aber unabhängig voneinander gedeutet werden. In Ergänzung handelt es sich überwiegend um Reportagen, selten werden auch Einzelbilder journalistisch eingesetzt (vgl. Bauernschmitt & Ebert, 2015, S. 113).
Im Lokalen lassen sich in dem Zusammenhang überwiegend Einzelbilder finden. Oder anders: »Manchmal träumen Lokalfotografen von Zeit und Raum: von Zeit, um eine richtige Reportage zu realisieren, und von Raum, um diese Reportage dann großzügig im Blatt zu präsentieren.« (Blecher, 2001, S. 54ff). Der dramaturgische Bildeinsatz ist hauptsächlich ein gestalterisches Mittel, um ein Seitenlayout zu brechen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um sogenannte Symbolfotos, die aus Fotoagenturen eingekauft werden. Symbolfotos sollen für die Rezipient:innen leicht zu dechiffrieren sein. Oft werden die Fotos in banalen Bild-Text Scheren eingesetzt. In allen Fällen haben diese Fotos keine direkte Verbindung zum Text, sondern werden rein symbolisch illustrativ eingesetzt (Schweizer Presserat, 2023, Abs. 3.4). Symbolfotos sind nicht unmittelbar dem Fotojournalismus zuzurechnen (vgl. Grittmann, 2019, S. 129). Der Pressecodex des Deutschen Presserates besagt, dass Symbolfotos deutlich gekennzeichnet werden müssen, damit bei den Lesenden nicht der Eindruck eines dokumentarischen Bildes entsteht und sie in die Irre geführt werden (vgl. Deutscher Presserat, 2021, S. 3).
Fotografie ist in der Lage, innerhalb von einem Augenblick, Emotionen hervorzurufen. Diese Fähigkeit machen sich die Personen zum Werkzeug, die über visuelle Kompetenzen verfügen (vgl. Freund, 1977, S. 229). Dies kann sowohl eine aufklärerische Funktion, beispielsweise journalistische Fotografie, aber auch manipulierende Funktionen haben, etwa in Werbung oder Propaganda. Fotografie ist schneller zu verarbeiten als ein Text. Bilder sind in der Lage einen die Rezeption eines Textes zu beeinflussen. Hartmann (1995) bezeichnet dies als den »Transfereffekt«. Dieser besagt, dass Fotos in einem Verhältnis zum Text stehen und das Bild einen Effekt auf den geschriebenen Text hat:
»Während Fotos in erster Linie die Wirkung nachfolgender Texte entgegengesetzter Tendenz vermindern, verstärken Texte auch die Wirksamkeit nachfolgender Fotos gleicher Tendenz. Und während Fotos vor allem die Wirksamkeit positiver Texte beeinflussen, wirken sich Transfereffekte der Texte auf die Wirksamkeit positiver und negativer Fotos gleichermaßen aus.« (Bauernschmitt & Ebert, 2015, S. 111; zit. nach Hartmann, 1995).
Vermeintlich schöne Fotos geben einem wenig kritischen Text einen verstärkten positiven Subtext wohingegen etwa ein dramatisches Foto bei gleichem Text einen kritischen Subtext mit sich bringt. Damit sollte die Wirkung von fotografischen Bildern nicht unterschätzt werden.
Allgemein ist zu beachten, dass die Bilder, welche in den Zeitungen zu finden sind, einen dreifachen Selektionsprozess durchlaufen haben. Streng genommen ist es eine dreistufige Abstraktion der Wirklichkeit, wenn mitgedacht wird, dass »Fotografieren (…) ein Abstraktionsprozeß.« (Molderings, 2020, S. 113) ist. Verkürzt, findet die erste Auswahl beim Fotografieren selbst statt, darauf folgt eine weitere Auswahl bei der Abgabe der Bilddaten an die Redaktion und die dritte durch die Redaktion selbst. Hier wäre auch ein zu beleuchtender Bestandteil, ob die letztliche Menge an Bildern eher durch die Produktion des Bildmaterials bedingt, ist: Also welche Fotos von den Fotograf:innen erstellt wurde. Oder ob der untersuchte Sachverhalt eine genuin (bild)redaktionell erschaffene Situation ist.
Bauernschmitt, L., & Ebert, M. (2015). Handbuch des Fotojournalismus: Geschichte, Ausdrucksformen, Einsatzgebiete und Praxis (1. Auflage). dpunkt.verlag.
Blecher, H. (2001). Fotojournalismus. Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch.
Blum, J., & Bucher, H.-J. (1998). Die Zeitung: Ein Multimedium: Textdesign - ein Gestaltungskonzept für Text, Bild und Grafik. UVK-Medien.
Deutscher Presserat (Hrsg.). (2021). PUBLIZISTISCHE GRUNDSÄTZE (PRESSEKODEX) Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats. https://www.presserat.de/pressekodex.html
Freund, G. (1977). Photographie und Gesellschaft. Büchergilde Gutenberg.
Grittmann, E. (2019). Fotojournalismus und journalistische Bildkommunikation in der digitalen Ära. In K. Lobinger (Hrsg.), Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung (S. 125–143). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06508-9_7
Hartmann, T. (1995). Transfer-Effekte: Der Einfluss von Fotos auf die Wirksamkeit nachfolgender Texte: eine experimentelle Untersuchung zur kumulativen Wirkung von Pressefotos und Pressetexten. P. Lang.
Molderings, H. (2020). Argumente für eine konstruierende Fotografie (1980). In Theorie der Fotografie I - IV: 1839—1995 (S. 106–114). Schirmer/Mosel.
Schmale, F. (2023). Lokaler Fotojournalismus – Zur Gebrauchsweise der Fotografie im Lokalteil der Dortmunder Ruhr Nachrichten[Unveröffentlicher Aufsatz].
Schweizer Presserat. (2023, Mai 1). Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». https://presserat.ch/journalistenkodex/richtlinien/
Vowinckel, A. (2016). Agenten der Bilder: Fotographisches Handeln im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag.
Wilking, T. (1990). Strukturen lokaler Nachrichten: Eine empirische Untersuchung von Text- und Bildberichterstattung. K.G. Saur.
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