von Felix Schmale [01.04.2024]
Das Wort 'dokumentarisch' leitet sich etymologisch vom Begriff 'Dokument' ab. Der Begriff 'Dokument' bedeutet 'Urkunde', 'amtliches Schriftstück' oder 'Beweis'. Zurückführen ist dieser auf das lateinische Wort docere, das übersetzt, lehren oder unterrichten bedeutet (vgl. Pfeifer u. a. 1993).
Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich die Dokumentarfotografie als Teilsystem des Dokumentarischen beschreiben. Sie ist ein Teil neben anderen Teilsystemen wie z.B. der dokumentarischen Literatur, dem dokumentarischen Theater oder dem Dokumentarfilm. Der Fotojournalismus kann wiederum als Teilsystem der Dokumentarfotografie betrachtet werden (Fromm 2013; Lockemann 2008). Grundsätzlich lässt sich festhalten, »daß das Dokumentarische eine historische und keine ontologische Kategorie ist.« (Solomon-Godeau 2011, 54). Damit ist gemeint, dass dokumentarischen Handelns stets in einen historischen Kontext gesetzt werden muss und die beteiligten Akteur:innen das Wesen des Dokumentarischen stets ausverhandeln.
Im Diskurs [1] über das Dokumentarische wird eine grundlegende philosophische Fragestellung aufgeworfen: Ist es möglich, Wirklichkeit abzubilden? Diese Frage wird in der Regel aus Sicht des Realismus oder des Konstruktivismus betrachtet (vgl. Steyerl 2008, 10ff). Es ist der Charakter des Dokumentarischen, dass keine eindeutige und beständige Begriffsdefinition vorhanden ist oder gefunden werden kann. Sie steht kontinuierlich in der Wechselwirkung mit ihrem historischen Kontext und kann nicht getrennt betrachtet werden (vgl. Steyerl 2008, 12f).
Der fotografische Realismus besagt, dass die Kamera - egal ob in fotografischen oder zeitbasierten Medien - eine natürliche Verlängerung des menschlichen Auges ist und nicht getäuscht werden kann. Alles, was die Kamera aufnimmt oder aufnehmen kann, gilt somit als wahrhaftig und objektiv (vgl. Steyerl 2008, 10ff). Der Konstruktivismus besagt, dass dokumentarische Bilder immer in einer gesellschaftlichen Konstruktion verankert sind und bestimmten systeminhärenten Codes unterliegen (ebd.). Daraus folgend für Steyerl: »Die dokumentarische Form bildet demnach nicht die Realität ab, sondern vor allem ihren eigenen Willen zur Macht« (Steyerl 2008, 9).
Das Dokumentarische bezeichnet demnach eine Methode der Wirklichkeitsverarbeitung. Im Zusammenhang mit der Fotografie bedeutet dies, dass die Wirklichkeit mithilfe der Kamera verarbeitet wird (vgl. Fromm 2013, 20). Der Begriff des Dokumentarischen hat eine Etymologie, die in zwei Richtungen deutet (vgl. Fromm 2013, 17). Einerseits wird Zeugenschaft für etwas abgelegt und andererseits wird ein Auftrag der Lehre verfolgt (ebd.). In die Fotografie übersetzt ist es also die fotografische Zeugenschaft eines in der Wirklichkeit zu verortenden Sachverhalts, die mittels des Mediums Fotografie eine bestimmte Gruppe von Rezipient:innen über diesen Sachverhalt informiert.
[1] Zum aktuellen Diskurs siehe auch den Sammelband »Durchbrochene Ordnungen: Das Dokumentarische der Gegenwart« Herausgegeben von Friedrich Balke, Oliver Fahle und Annette Urban (Balke, Fahle, und Urban 2020).
Balke, Friedrich, Oliver Fahle, und Annette Urban, hrsg. 2020. 1 Durchbrochene Ordnungen: Das Dokumentarische der Gegenwart. 1. Aufl. Bielefeld, Germany: transcript Verlag. doi:10.14361/9783839443101.
Fromm, Karen. 2013. „Das Bild als Zeuge – Inszenierungen des Dokumentarischen in der künstlerischen Fotografie seit 1980.“ Humboldt-Universität zu Berlin.
Lockemann, Bettina. 2008. Das Fremde sehen: der europäische Blick auf Japan in der künstlerischen Dokumentarfotografie. Bielefeld: Transcript.
Pfeifer, Wolfgang u. a., hrsg. 1993. „dokumentarisch“. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/wb/dokumentarisch (5. März 2024).
Solomon-Godeau, Abigail. 2011. „Wer spricht so?“ In Diskurse der Fotografie, Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters / hrsg. von Herta Wolf, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 53–74.
Steyerl, Hito. 2008. Die Farbe der Wahrheit: Dokumentarismen im Kunstfeld. Wien: Turia + Kant.
von Felix Schmale [01.04.2024]
Das Wort 'dokumentarisch' leitet sich etymologisch vom Begriff 'Dokument' ab. Der Begriff 'Dokument' bedeutet 'Urkunde', 'amtliches Schriftstück' oder 'Beweis'. Zurückführen ist dieser auf das lateinische Wort docere, das übersetzt, lehren oder unterrichten bedeutet (vgl. Pfeifer u. a. 1993).
Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich die Dokumentarfotografie als Teilsystem des Dokumentarischen beschreiben. Sie ist ein Teil neben anderen Teilsystemen wie z.B. der dokumentarischen Literatur, dem dokumentarischen Theater oder dem Dokumentarfilm. Der Fotojournalismus kann wiederum als Teilsystem der Dokumentarfotografie betrachtet werden (Fromm 2013; Lockemann 2008). Grundsätzlich lässt sich festhalten, »daß das Dokumentarische eine historische und keine ontologische Kategorie ist.« (Solomon-Godeau 2011, 54). Damit ist gemeint, dass dokumentarischen Handelns stets in einen historischen Kontext gesetzt werden muss und die beteiligten Akteur:innen das Wesen des Dokumentarischen stets ausverhandeln.
Im Diskurs [1] über das Dokumentarische wird eine grundlegende philosophische Fragestellung aufgeworfen: Ist es möglich, Wirklichkeit abzubilden? Diese Frage wird in der Regel aus Sicht des Realismus oder des Konstruktivismus betrachtet (vgl. Steyerl 2008, 10ff). Es ist der Charakter des Dokumentarischen, dass keine eindeutige und beständige Begriffsdefinition vorhanden ist oder gefunden werden kann. Sie steht kontinuierlich in der Wechselwirkung mit ihrem historischen Kontext und kann nicht getrennt betrachtet werden (vgl. Steyerl 2008, 12f).
Der fotografische Realismus besagt, dass die Kamera - egal ob in fotografischen oder zeitbasierten Medien - eine natürliche Verlängerung des menschlichen Auges ist und nicht getäuscht werden kann. Alles, was die Kamera aufnimmt oder aufnehmen kann, gilt somit als wahrhaftig und objektiv (vgl. Steyerl 2008, 10ff). Der Konstruktivismus besagt, dass dokumentarische Bilder immer in einer gesellschaftlichen Konstruktion verankert sind und bestimmten systeminhärenten Codes unterliegen (ebd.). Daraus folgend für Steyerl: »Die dokumentarische Form bildet demnach nicht die Realität ab, sondern vor allem ihren eigenen Willen zur Macht« (Steyerl 2008, 9).
Das Dokumentarische bezeichnet demnach eine Methode der Wirklichkeitsverarbeitung. Im Zusammenhang mit der Fotografie bedeutet dies, dass die Wirklichkeit mithilfe der Kamera verarbeitet wird (vgl. Fromm 2013, 20). Der Begriff des Dokumentarischen hat eine Etymologie, die in zwei Richtungen deutet (vgl. Fromm 2013, 17). Einerseits wird Zeugenschaft für etwas abgelegt und andererseits wird ein Auftrag der Lehre verfolgt (ebd.). In die Fotografie übersetzt ist es also die fotografische Zeugenschaft eines in der Wirklichkeit zu verortenden Sachverhalts, die mittels des Mediums Fotografie eine bestimmte Gruppe von Rezipient:innen über diesen Sachverhalt informiert.
[1] Zum aktuellen Diskurs siehe auch den Sammelband »Durchbrochene Ordnungen: Das Dokumentarische der Gegenwart« Herausgegeben von Friedrich Balke, Oliver Fahle und Annette Urban (Balke, Fahle, und Urban 2020).
Balke, Friedrich, Oliver Fahle, und Annette Urban, hrsg. 2020. 1 Durchbrochene Ordnungen: Das Dokumentarische der Gegenwart. 1. Aufl. Bielefeld, Germany: transcript Verlag. doi:10.14361/9783839443101.
Fromm, Karen. 2013. „Das Bild als Zeuge – Inszenierungen des Dokumentarischen in der künstlerischen Fotografie seit 1980.“ Humboldt-Universität zu Berlin.
Lockemann, Bettina. 2008. Das Fremde sehen: der europäische Blick auf Japan in der künstlerischen Dokumentarfotografie. Bielefeld: Transcript.
Pfeifer, Wolfgang u. a., hrsg. 1993. „dokumentarisch“. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/wb/dokumentarisch (5. März 2024).
Solomon-Godeau, Abigail. 2011. „Wer spricht so?“ In Diskurse der Fotografie, Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters / hrsg. von Herta Wolf, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 53–74.
Steyerl, Hito. 2008. Die Farbe der Wahrheit: Dokumentarismen im Kunstfeld. Wien: Turia + Kant.
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