von Felix Schmale [01.04.2023]
Für die spezifische Ausdifferenzierung der Fotografie im Lokaljournalismus soll hier ein neuer Begriff geprägt werden. Der Begriff des Lokalfotojournalismus wird hier vorgeschlagen. Dieser soll die Begriffe des Fotojournalismus und des Lokaljournalismus miteinander verbinden. Die Wortneuschöpfung soll verdeutlichen, dass die fotografischen Funktionen im Lokaljournalismus grundlegend anders funktionieren als im überregionalen oder internationalen Kontext. Es ist wichtig, zwischen der Fotografie zu unterscheiden, die unter fotojournalistischen Bedingungen lokal entsteht, und der derjenigen, die in lokaljournalistischen Publikationen verwendet wird.
Anhand einer Fallstudie die von Schmale (2023) durchgeführt wurde, sollen die Gedanken verdeutlicht werden. Dazu wurden im Januar 2023 anhand von 14 Lokalteilen der Dortmunder Ruhrnachrichten eine nicht-repräsentative Studie durchgeführt. In dieser Studie wurden die Bilder in den Lokalteilen auf verschiedene Kategorien hin analysiert. Das Ziel dieser Untersuchung war es, die fotografischen Verwendungszwecke in der lokalen journalistischen Publikation zu identifizieren und anhand der Ruhrnachrichten abzugrenzen. Insgesamt wurden etwa 593 Einzelbilder analysiert. Ein Codebuch dazu ist in einem unveröffentlichten Papier festgehalten (vgl. Schmale, 2023).
Obwohl die Ergebnisse des Papiers nicht repräsentativ sind, können sie für weitere Überlegungen genutzt werden. Es werden verschiedene Bildlieferanten benannt, spezifische Bildmuster aufgezeigt und erläutert, wie eine Verbindung zwischen Bild und Text hergestellt wird. Auch ökonomische Bedingungen werden berücksichtigt. Darüber hinaus können die kurzen schriftlichen Interviews, die ich Rahmen der vorliegenden Arbeit geführt habe, die ich bei verschiedenen Ortsbesuchen in Lokalredaktionen in NRW geführt habe für einen weiteren Erkenntnisgewinn fruchtbar gemacht werden.
Die Aufteilung der Bildlieferant:innen ist letztlich ähnlich wie bei anderen Tages- und Wochenzeitungen. Zu den bekannten Fotograf:innen, die sowohl als feste Redaktionsmitglieder als auch als freie Lokalfotograf:innen arbeiten können, kommen die Wortjournalist:innen, die neben dem Text auch Bilder liefern. Diese treten auch als feste und freie Akteur:innen auf. Die fotografierenden Wortjournalist:innen sind mit eines der Alleinstellungsmerkmale von Lokal- und Regionalzeitungen. Aber dazu gleich mehr. Ebenso wird Agenturmaterial von Lokal- und Regionalzeitungen verwendet. Darüber hinaus stammt Material aus der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Vereinen oder der Werbung. Darüber hinaus findet sich auch Material aus privaten oder nicht identifizierbaren Quellen.
Die Quellen unterscheiden sich hier nicht wesentlich von nicht-lokalen Zeitungen, sowohl in ihrer Existenz als auch in der prozentualen Aufteilung der Quellen. Das bedeutet, dass der Anteil von Wortjournalist:innen und dem nicht-journalistischen Fremdmaterial aus PR, Werbung usw. unterschiedlich ist. Aus meiner Fallstudie ergibt sich Folgendes:
Dabei stellen die ersten drei Bildlieferant:innen in meiner Interpretation journalistische Quellen und die anderen drei Bildquellen deutlich keine journalistischen Quellen dar. Allerdings müssen die fotografierenden Wortjournalist:innen mit Vorsicht betrachtet werden. Die Ausbildung von Wortjournalist:innen, sei es durch Studium und/oder Volontariat, beinhaltet nur wenige Lerneinheiten für visuelle Kompetenzen. Gebhardt et al. (2019, 9) stellen fest, dass in Volontariaten im Schnitt nur ein bis fünf Tage Schulung zu visuellen Inhalten angeboten werden. Die Qualität der vermittelten Inhalte und des vermittelnden Personals ist fraglich. Hierzu Gebhardt et al. (2019, 6): »[A]us bildwissenschaftlicher Sicht [muss] von einer partiellen visuellen Unterliterarität der handelnden Akteure [sic!] [zu] sprechen [sein].«.
Daran lässt auch der Blick auf die Bilder kein Zweifel. Die Fotos bewegen sich in der Fallstudie oft stark am Text. Sie dienen der reinen Illustration. Bilder die von fotografierenden Wortjournalist:innen stammen, leiden noch stärker an diesem Belegcharakter der Bilder.
Koltermann (2023b, 22f) stellt in seiner aktuellen Erhebung fest, dass in allen 263 deutschen Lokalzeitungen insgesamt nur 13 Bildredakteur:innen angestellt sind. Da überrascht es nicht zu lesen, dass Gebhardt et. al. (2019, 9) festhalten, dass »Die visuellen Medien […] höchstens semiprofessionell eingesetzt« werden.
Die Erzählmodi in der lokalen Tageszeitung lassen sich in zwei Bestandteile gliedern: Das Einzelbild überwiegt dabei. Selten ist Platz für Reportagen oder Erzählungen, die über das Einzelbild hinausgehen (vgl. Blecher 2001, 54ff). Dies ist angesichts der ökonomischen Relevanz der Bilder bemerkenswert. In Zeiten des digitalen Journalismus sind Bilder wichtiger als je zuvor. In digitalen Publikationen steht das Visuelle im Vordergrund, sei es in Form von Bildern oder von Videos (vgl. Gebhardt, Kossatz, und Milbret 2019, 8).
Es fehlt eine strukturierte Untersuchung, die aufzeigt, wie Bilder im lokalen Journalismus ausgewählt werden. Derzeit kann man nur anekdotisch spekulieren oder auf nicht repräsentative Erfahrungsberichte zurückgreifen. Es ist nicht ersichtlich, wie der Prozess der Bildverarbeitung in Redaktionen abläuft und wer mit welchen Kompetenzen an welchem Material arbeitet. Es lässt sich vermuten, dass alle Redakteur:innen konzeptlos arbeiten und dadurch das visuelle Wirrwarr entsteht.
Um zu untersuchen, ob es möglich ist, seinen Lebensunterhalt durch das Fotografieren für Tageszeitungen zu bestreiten. Der Berufsverband Verdi bietet online Vergütungstabellen für freie Journalist:innen bei Tageszeitungen an (vgl. verdi 2003, 8f). Diese Vergütungstabelle wurde Anfang der 2000er Jahre mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDVZ) abgeschlossen und aufgrund der Urheberrechtsreform 2017 vom Verlegerverband gekündigt. Verdi äußert sich auf der genannten Seite zur Kündigung und betont, dass diese unrechtmäßig sei. Die Vereinbarungen in der Vergütungstabelle seien auch heute noch bindend.
Die Honorare für Fotobeiträge sind in §4 der Verdi Vergütungstabelle aufgeführt. Sie sind nach Erst- und Zweitdruck differenziert und nach Auflage der Publikation gestaffelt. Im Gegensatz zur Tabelle von Verdi wird in der Tabelle des BDZV nicht nach Bildgrößen unterschieden. Zur Vereinfachung der Rechnung wird die Tabelle des BDZV verwendet (vgl. Gemeinsame Vergütungsregeln aufgestellt für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen 2017, 8). Die Honorare pro Bild sind in beiden Tabellen identisch.
Für diese Untersuchung wurde das Durchschnittsbruttoeinkommen herangezogen, welches vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wird. Anschließend wurde untersucht, wie viele Bildbeiträge ein einzelner Fotograf:in für eine Tageszeitung mit einer Auflage von bis zu 100.000 Exemplaren fotografieren muss. Die Zeitung hat ihr Verbreitungsgebiet in einer westdeutschen Großstadt mit etwa 600.000 Einwohnern. Diese Information ist wichtig, um ein Gefühl für die Ereignisdichte vor Ort zu bekommen.
Bei einem Bruttodurchschnittseinkommen von 4105 € (April 2022) müssen, wie in Tabelle 1 gezeigt, die folgende Menge an Aufträgen bearbeitet werden. Es ist zu beachten, dass sich das Durchschnittseinkommen auf Angestelltenverhältnisse bezieht und freiberufliche Fotograf:innen eine selbständige Tätigkeit ausüben und dadurch eine höhere Belastung des Bruttolohns erfahren. Ebenfalls wird nicht berücksichtigt, dass Fotograf:innen für Materialinvestitionen (Kamera, Auto, etc.) aufkommen müssen. Die Vergütungstabelle weist darauf hin, dass entstandene Nebenkosten (Fahrtkosten, Hotel, etc.) erstattet werden müssen.
Die verschiedenen Honorare beziehen sich auf die Mindest-, Höchst- und Medianhonorare der angegebenen Honorarspannen. Für die Kalkulation wird davon ausgegangen, dass täglich 40 fotografische Abbildungen in der Publikation abgedruckt werden. Um eine realistische Einschätzung zu geben, wurde die Anzahl der Bilder halbiert, da davon ausgegangen wird, dass auch Material aus anderen Quellen 'erworben' wird. Aus diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass pro Ausgabe zwischen 20 % und 45 % der Fotos von einer einzelnen Fotograf:in beigesteuert werden müssten. Es ist zu beachten, dass diese Zahlen mit Vorsicht zu betrachten sind, da nach aktuellen Zahlen des BDZV im 3. Quartal 2023 insgesamt 8,65 Millionen Zeitungen im Segment der Regional- und Lokalzeitungen verkauft wurden. Dies entspricht bei 308 verschiedenen Titeln einer durchschnittlichen Auflage von etwa 28.000 Zeitungen. Daher sind hier noch einmal die Zahlen für eine Auflage bis 25.000 Exemplare aufgeführt (siehe Tabelle 2).
Auflage bis 100.000 | Minimum | Median | Maximum |
Honorar pro Bild (€) | 22 | 28,5 | 35 |
Bilder pro Jahr | 2244 | 1743,96 | 1417,68 |
Bilder pro Monat | 187 | 145,33 | 118,14 |
Bilder pro Tag | 6,16 (7) | 4,79 (5) | 3,89 (4) |
Bilder pro Tag | 8,80 (9) | 6,86 (7) | 5,57 (6) |
Auflage bis 25.000 | Minimum | Median | Maximum |
Honorar pro Bild (€) | 14 | 19,5 | 25 |
Bilder pro Jahr | 3518,52 | 2526,12 | 1970,4 |
Bilder pro Monat | 293,21 | 210,51 | 164,2 |
Bilder pro Tag | 9,6 (10) | 6,94 (7) | 5,41 (6) |
Bilder pro Tag | 13,53 (14) | 9,71 (10) | 7,57 (8) |
Anhand dieser Zahlen lässt sich argumentieren, dass der Beruf der freien Lokalfotograf:in aus ökonomischer Sicht nicht rentabel ist. Es müssen zwischen 6 und 14 Bilder pro Tag verkauft werden. Wenn die Lokalzeitungen ausschließlich lange Reportagen abdrucken würden, könnte dies eine Möglichkeit sein. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dies der Fall ist. Zusätzlich gibt es in der von Verdi angegebenen Tabelle eine Differenzierung nach der Abbildungsgröße (1-Spaltig, 2-Spaltig, usw.). Dies wird höchstwahrscheinlich auch zu geringeren Honoraren führen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahlen nicht mehr aktuell sind und seit fast 20 Jahren nicht mehr erhöht wurden.
Selbst bei einer hohen Termindichte, wie sie z.B. in Großstädten möglich ist, ist es unrealistisch, täglich eine so große Menge an Aufträgen auszuführen. Hinzu kommt, dass die ausschließliche Tätigkeit für eine Tageszeitung zu Scheinselbständigkeit führt. Es ist davon auszugehen, dass freiberufliche Lokalfotograf:innen diese Tätigkeit entweder nebenberuflich (also als Hobby) ausüben oder noch andere Aufträge z.B. von Unternehmen annehmen müssen.
Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung ist die Arbeit für Agenturen. Bei der dpa beträgt das Tageshonorar laut Verdi 290 € (vgl. verdi Redaktion 2023). Dieses Honorar ist seit 2009 nicht mehr erhöht worden. Gleichwohl sehe ich hier eine reale Chance, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Es wäre auch hier angebracht, die Honorare zu erhöhen, gerade im Hinblick auf die in den letzten Jahren gestiegenen Lebenshaltungskosten.
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Blecher, H. (2001). Fotojournalismus. Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch.
Gebhardt, D., Kossatz, I.-M., & Milbret, U. (2019). Konzept Institut für visuellen Journalismus an der Fachhochschule Dortmund. FH Dortmund.
Gemeinsame Vergütungsregeln aufgestellt für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. (2017, März 1). Gemeinsame Vergütungsregeln aufgestellt für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. https://www.bdzv.de/fileadmin/content/7_Alle_Themen/Tarifpolitik/Verguetungsregelungen/GVR_Text_2010.pdf
Koltermann, F. (2023). Fotografie im Journalismus: Bildredaktionelle Praktiken in Print- und Online-Medien. Herbert von Halem Verlag.
Schmale, F. (2023). Lokaler Fotojournalismus – Zur Gebrauchsweise der Fotografie im Lokalteil der Dortmunder Ruhr Nachrichten[Unveröffentlicher Aufsatz].
verdi. (2003, Oktober 1). Gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. Gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. https://dju.verdi.de/++file++52cade236f68441b1f000040/download/FreieJourn_Verguet2013_WEB.pdf
verdi Redaktion. (2023, Mai 2). Freie Fotografen bei der dpa streiken [Gewerkschaftsseite]. Freie Fotografen bei der dpa streiken. https://mmm.verdi.de/tarife-und-honorare/freie-fotografen-bei-der-dpa-streiken-89089#:~:text=di%20390%20Euro%20als%20Tagessatz,Aufträge%20und%2045%20Cent%20Kilometergeld.
Schmale, Felix. “Foto- und Nachrichtenagenturen”.
In Fotojournalismus.net. Dortmund. https://fotojournalismus.net/foto-nachrichtenagenturen/ (01. April 2024).
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